Tibet -Das Geheimnis der roten Schachtel

von Peter Sis

Signatur: Sachbuch: Erdkunde – andere Länder

Dieses Bilderbuch für Kinder (und Erwachsene!) ist eine Wiederentdeckung (das Buch ist bereits 1998 erschienen und wurde 1999 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet) zu einem augenblicklich höchst aktuellen Thema, das Kindern sicher aus verschiedenen Gründen eher schwer zu erklären ist: Tibet.

Das Buch erzählt vielfältig illustriert durch die wunderschönen, detailverliebten, teils magisch märchenhaften Zeichnungen die (wahre) Geschichte des Vaters des Autors, der als Peter noch sehr klein ist, die Familie für lange Zeit verlässt, um in entlegenen Gebieten des Himalaja chinesische Studenten im Filmemachen zu unterrichten.

Im Buch vermischen sich die Tagebuchaufzeichnungen des Vaters mit den Erinnerungen des kleinen Jungen an die Geschichten, die der Vater nach seiner Rückkehr dem Kind erzählt. Erst viel später, im mittleren Erwachsenenalter gewinnen diese Erinnerungen wieder Bedeutung, als der Sohn die geheimnisvolle rote Schachtel, in die der Vater zusammen mit dem Tagebuch seine Erinnerungen an Tibet eingeschlossen hat, öffnet und sich in der Erzählung Erlebnisse des Vaters vor langer Zeit die Geschichten von Vater und Sohn vermischen mit den Mythen und den Ereignissen, deren Zeuge der Vater in Tibet und China geworden ist.

Am Schluss heißt es nachdenklich aus dem Blickwinkel des erwachsenen Sohnes: „Erst jetzt, nachdem ich auf den Seiten seines Tagebuchs Tibet besucht habe, wird mir klar, dass ich ihn nicht hätte zurückwünschen sollen. Kam er denn wirklich vollständig zurück? Oder lebt er noch immer jung und glücklich irgendwo in Tibet?“

Über Kultur, Lebensweise, Mythen und Märchen erfährt der Leser (und Betrachter der Bilder) so ganz nebenbei viel Informatives, in dem wir den Vater durch seine Tibetreise begleiten. Sehr bald begreift er, dass es sich bei seinem Auftrag nicht nur darum handelt, den chinesischen Studenten etwas über das Filmemachen beizubringen, sondern das riesige Bauprojekt einer Straße durchs Gebirge zu dokumentieren, das den von der Zivilisation abgeschlossenen, vermeintlich als Barbaren lebenden Tibetern die Moderne bringen soll. Er ahnt, dass die Straße nicht nur Segnungen, sondern auch Gefahr und Zerstörung für „den unberührten Ort auf dem „Dach der Welt“ bedeuten wird.

Durch eine Naturkatastrophe wird er mit einigen Begleitern von der Mammutbaustelle abgeschlossen und sie schlagen sich auf abenteuerliche Weise allein durch die Einsamkeit der tibetischen Landschaft durch bis nach Lhasa, um den ahnungslosen jungen Gottkönig der Tibeter zu warnen: „Es wird mehr zerstört als gewonnen werden. Genau das muss ich dem jungen Dalai-Lama erklären, damit er weiß, was auf ihn zukommt. Ich muss auch alles tun, dass meine Studenten es begreifen.“

Der Besuch im Palast, dem Potala, sowie die Begegnung mit dem jungen Dalai-Lama bleiben im Dunkeln und werden vor allem durch traumhafte, an buddhistische Mandala-Bilder angelehnte Zeichnungen deutlich gemacht – zuletzt befinden wir uns im dunklen, fast schwarzen Arbeitszimmer des Vaters (dem Ausgangspunkt unserer Reise durch Tibet): „Schwarz ist die Farbe der Nacht, die Farbe der Magie und der Schatten … Schwarz ist der ideale Hintergrund für die Sterne und für die Hoffnung.“

Sätze, die für Geschichte und Zukunft Tibets auch im Jahre 2008 nichts an Gültigkeit verloren haben.

Leider ist in den Passagen der Tagebuchaufzeichnungen die Schrift manchmal schwer lesbar, so dass es – nicht nur aus diesem Grunde, sondern auch wegen der vielen inhaltlichen Gesprächsanlässe – ein ideales Buch ist, in das man zusammen mit seinen Kindern eintauchen kann.

Eva Krone

Im April 2008