Der Junge, der sich in Luft auflöste

von Siobhan Dowd

Signatur: J Dowd

Unter einer Wolke am blauen, leicht gewittrig verdunkelten Himmel zeigt das Titelbild den Kopf eines blonden Jungen mit Wuschelkopf, den Blick verträumt, in die Ferne gerichtet, „nicht ganz von dieser Welt“. Mit solchen Sprichwörtern kämpft der 12jährige Ich-Erzähler Ted, denn er hat „irgend so ein Syndrom, mit dem er denken könnte wie ein Riesencomputer“, was aber auch bedeutet, dass sein „Gehirn mit einem anderen Betriebssystem arbeitet als das anderer Leute“, so dass sich seine Gedanken manchmal „sehr, sehr weit von seinem Körper entfernen. Es beruhigt ihn, dass auch der Künstler Andy Warhol und vielleicht sogar Albert Einstein dasselbe Syndrom gehabt haben sollen…

Von allen Dingen interessiert ihn das Wetter am meisten und bestimmt wird er mal ein berühmter Meteorologe; aber im Alltag beschäftigt ihn sehr viel mehr, dass er außer Mum und Dad und seiner zwei Jahre älteren Schwester Kat, „Katze“, Katrina – oder auch Katastrophe! – eigentlich keine Freunde hat, denn er muss mit genau zu beobachtenden Hilfsmitteln – Mundwinkel nach oben, gerade oder nach unten- versuchen deren Gefühle herauszufinden und einzuordnen, was das Beziehungsleben nicht gerade einfacher macht.

Umso besser dass Salim, sein Cousin, der mit seiner Mutter Tante Gloria vor beider Abreise nach New York, wo die Mutter eine neue Arbeitsstelle antreten will, bei Ted zuhause in London zu Besuch kommt, sich gleich als Freund herausstellt. Den gemeinsamen Tag wollen sie beim großen Riesenrad „London Eye“ verbringen, das wie ein gigantisches Fahrradrad am Himmel hängt und von wo aus man vierzig Kilometer in alle Richtungen gucken kann. Während die Mütter im Café sitzen, stellen die Kinder sich bei der Ticketschlange an, bekommen von einem unbekannten eine Fahrkarte geschenkt, so dass nur Salim alleine in die Gondel des Riesenrads steigt – und nicht mehr, wie alle anderen Fahrgäste, nach einer halben Stunde wieder unten ankommt, sondern verschwunden bleibt.

Am Abend wird die Polizei eingeschaltet, später auch Salims Vater, die ganze Familie ist vor Sorge aufgelöst . Und Ted macht sich seine eigenen Gedanken dazu „wie man es schafft, aus einer geschlossenen Gondel zu verschwinden“ und stellt dabei die Theorien 1 – 9 auf: Zeitschleife, Paralleluniversum, „einfache“ Entführung oder auch nur „viel Wind um nichts“ (einige Anspielungen auf Shakespeares „Der Sturm“ – Wetter eben ! – kommen vor ). Immerhin muss die verzweifelte Tante Glo zugeben, „wenn allein der reine Verstand Salim zurückbringen könnte, dann wäre es deiner, Ted“.

Mit viel Denken, dem Blick fürs Detail und den richtigen Schlüssen begleitet der Leser Ted, wie es ihm gelingt, das Rätsel um das Verschwinden seines Cousins zu lösen. Allerdings: „Wenn ich Leuten etwas erzähle, was ich herausgefunden habe, hört mir keiner zu. Wenn Kat es tut, hören alle zu.“ Wie es dann doch noch gelingt, den Erwachsenen zu vermitteln, was passiert ist und wo Salim abgeblieben ist, kann man nachlesen in diesem Buch der britischen Autorin S.Dowd, geschrieben in klarer Sprache und ruhigem Stil, wo wir uns als Leser einfühlen in Teds Sichtweisen, seine Stärken wie seine Schwächen : „Du machst dich nicht einfach so aus dem Staube, bevor ich mit dir fertig bin – und ich überlegte, wo es wohl staubig war…“ Und auf einmal ist auch Ted mit seinem „Syndrom“ eigentlich ganz normal.

Das Buch wird auch empfohlen von „Klassik Radio“ und steht auf der Liste für den Deutschen Jugendbuchpreis. Es eignet sich sehr gut für Jungen und Mädchen ab ungefähr zehn Jahre.

Eva Krone

Erschienen im Carlsen Verlag 2008